Im Jahre 1936 war Olympiade in Berlin. Wir Jugendliche waren begeistert, denn nach drei Jahren Nazi-Herrschaft öffnete sich der Vorhang und viele Nationen aus der ganzen Welt besuchten die damalige “Reichshauptstadt”. Der Sport war Hauptgesprächsthema in der Schule, auf der Straße, in den Sport- und Schwimmhallen.
Auch ich trainierte drei bis vier Mal pro Woche im Freischwimmer-Bad Brust- und Rücken Crawl. Gisela Arendt, die deutsche Meisterin vom berühmten Schwimmclub “Charlottenburger Nixen” war mein Vorbild. Die Schule war nicht mehr so wichtig. Zuerst hatte ich dort Defizite, aber das Pensum sah ich plötzlich mit anderen Augen an, denn schließlich wollte ich, wie schon bei zwei Bezirks-Meisterschaften im Schwimmen, auch dort einen guten Platz erreichen. Es gelang mir dann doch, in der Schule unter die drei Besten zu kommen. Unsere Chancen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, waren im Gegensatz zu heute, großartig. Ich konnte, was sich heutige Schulabgänger nicht vorstellen können, 12 Angebote ablehnen. Wir mussten fleißig sein; 45 Arbeitsstunden in der Woche und 12 Tage Jahresurlaub waren normal. Ich habe mich, wie man so sagt, nach oben gearbeitet. Französisch nahm ich bei einer Belgierin, Englisch bei einer in unserem Haus wohnenden Engländerin.
Ein von mir sehr geschätzter Kollege fiel im Osten
Mit 24 Jahren ging ich regelmäßig in Frankfurt zum Rudern. Der Club hieß “Freiweg”. Ich saß im Doppel-Vierer, Zweier, Achter. Auch im Einer versuchte ich mein Glück auf dem Main, kenterte, brachte aber das wertvolle Rennboot mit Crawl-Beinschlag bis zu unserem Bootshaus. Auf dem “Eisernen Steg”, der wunderschönen Jugendstilbrücke über den Main, sahen zahlreiche Passanten zu, wie ich das Boot Main abwärts dirigierte. Unterdessen tobte der zweite Weltkrieg. Ein von mir sehr geschätzter Kollege fiel im Osten. Männer, die sich für mich interessierten, waren meistens verheiratet und es ärgerte mich, wenn sie sich als ledig ausgaben. Als ich meinen nachmaligen Mann kennen lernte und er sich mit mir verabreden wollte, bestand ich auf Einsicht in sein “Soldbuch”, obwohl Soldaten diesen Ausweis Zivilisten nicht zeigen durften. Die vielen “unglücklich Verheirateten” waren mir allmählich ein Gräuel. Mein Mann wurde nach Russland abkommandiert, von wo er mir Briefe und Zeichnungen mit Bleistift oder Kohle von wunderschönen Barockkirchen aus Minsk und Wilna schickte, oder mit Buntstift gezeichnete Straßenszenen. Mir gefiel diese Art sich mitzuteilen in schwerer Zeit, wo es auch bei uns in der Heimat um Leben und Tod ging.
Ich konnte, was sich heutige Schulabgänger nicht vorstellen können, 12 Arbeitsangebote ablehnen.
Sport hat mir immer geholfen, meinem Geist und meinem Körper. Mit 40 war ich Mutter zweier Söhne. Das mit dem Geld meiner Mutter geerbte Haus befand sich im Rohbau. Es gab für mich eine Menge zu tun, da ich für das Geschäft meines Mannes auch viel Zeit investierte. Sport trieb ich weiterhin, Gymnastik und Schwimmen, sowie Bergwandern waren mir wichtig. Ich kann aber sagen, dass das Leben zwischen 45 und 65 sehr fruchtbar und erfolgreich war. Die 40 Jahre Ehe sind schnell vergangen. Die Söhne gingen aus dem Haus. Mein Mann starb an einer schweren Krankheit, Freunde gingen viel zu früh; aber ich habe durch den Sport gelernt, nicht zu resignieren, meine Zukunft sportlich zu sehen, nicht aufzugeben, Traurigkeit und Mutlosigkeit nicht aufkommen zu lassen. Rückblickend war mir die Mutterschaft, die Erziehung meiner Kinder, später zum Teil der Enkel, das Zusammenhalten der Familie und des Vermögens, welches durch richtiges Einteilen und Fleiß entstand, wichtig.
Heimkehr ins geliebte Berlin; mit Dank an meinem Sohn
Nun wollte ich in vorgerücktem Alter den mir inzwischen unsympathisch gewordenen Wohnort verlassen und woanders ein neues Leben anfangen. Mein jüngster Sohn hat meinen Wunsch verstanden, dass ich in Ulm keine Wurzeln schlagen wollte, sondern mir wieder Berlin als Wohnort wünschte. Er hatte meine jetzige Wohnung in unwahrscheinlich kurzer Zeit gefunden und meinen Geschmack hinsichtlich der Lage getroffen. Ich bin ihm dankbar dafür. Ich kann die Zeit, die mir noch zum Leben bleibt, so genießen wie einen Urlaub nach langer harter Arbeit. Jetzt habe ich viel Zeit, denn meine Behausung ist kleiner und übersichtlicher, manchen Ballast konnte ich abwerfen oder verschenken. Kinder muss ich nicht mehr erziehen. Zum Glück sind meine Augen noch gut, dass ich mehrere Stunden am Tag lesen kann. Bücher leihe ich mir in unserem Rathaus Charlottenburg, einem Jugendstilhaus, das unter Denkmalschutz steht. Für den “Zeitzeugenbrief” der Berliner Zeitzeugenbörse schreibe ich Buchempfehlungen oder Rezensionen. Ich bin zu meinen Wurzeln in Berlin “heimgekehrt”. Zufriedenheit ist doch schließlich auch ein Seelenzustand wie Freude an der Natur, an Tieren, Pflanzen und an einem harmonischen Miteinander im Haus.
Angst machen, ein profitables Geschäft
Angst, ein Phänomen, das heute bei Jung und Alt häufig anzutreffen ist, kenne ich nicht. Ich lasse mir auch keine Angst von Medien, Versicherungs- gesellschaften, Ärzten, Apothekern und Pfarrern – die vom Ängstigen leben – Angst machen. Ich nehme das Leben, wie es ist, dazu gehört auch, mit Schmerzen zu existieren, solange es geht. Angst würde auch den Geist verwirren, die Aktivität weiter lähmen und die Lebensqualität mindern.
Überall warten
Schafft die Senioren ab
Muskelmasse mit Fitness antrainiert
Zimmer in WG gesucht