schützt vor ämtern nicht
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Alter schützt vor Ämtern nicht

Die Römer wussten den Wert der Älteren zu schätzen. Ihr einstmals oberstes Regie­rungs­organ war der Senat. Der Name leitet sich von Senex “der Greis” ab, bedeutet also nichts anderes als “Ältes­tenrat”. Eifrig wachten konser­vative Politiker wie etwa Cato über die Einhaltung.

Nun, der Erfolg der Tugend­wächter hatte seine Grenzen: Die “spätrö­mische Dekadenz” ist heute noch sprich­wörtlich, und das ganze schöne Reich ging sang- und klanglos im Strudel der Völker­wan­derung unter. Aller­dings erst nach 1000 Jahren Existenz.

Moderne Politiker sind da wesentlich schneller mit ihrem Latein am Ende. Vor allem die Jungen, zunächst schnell Erfolg­reichen und Fotogenen. So hat die aus Mittdrei­ßigern bestehende derzeitige FDP-Führung nicht die erhoffte Erneuerung der alten liberalen Idee geschafft, sondern die Partei rund um die fünf Prozent manövriert.

Rückbe­sinnung auf die Werte des Alters
Wulff sei nicht nur als Minis­ter­prä­sident von Nieder­sachsen zu jung gewesen, sondern auch für das höchste Staatsamt “zehn Jahre zu jung”, befand seinerzeit Altbun­des­kanzler Helmut Schmidt. Dem Amt des Bundes­prä­si­denten verleihte dann ein älterer Mann wieder Würde und Ansehen: Joachim Gauck mit 75 Jahren. Diese Rückbe­sinnung auf die Werte des Alters ist überra­schend, weil die Achtung älterer Menschen längst nicht mehr selbst­ver­ständlich ist. In früheren Zeiten waren sie die Ausnahme. Harte Lebens­um­stände und mangelnde medizi­nische Versorgung ließen nur wenige bis ins Greisen­alter vorstoßen. Die waren dann gefragt als Ratgeber und Überlie­ferer von Wissen und Traditionen.

Diese Rückbe­sinnung auf die Werte des Alters ist überra­schend, weil die Achtung älterer Menschen längst nicht mehr selbst­ver­ständlich ist.

Dazu werden heute bevorzugt moderne Techno­logien genutzt. Die Mitmen­schen jenseits der 50 oder 70 sind zum “demogra­fi­schen Faktor” degra­diert, zu einer stets wachsenden Bevöl­ke­rungs­gruppe, die vor allem Geld kostet, die Karrie­rewege versperrt und die schöne neue Welt nicht mehr ganz versteht. Das mag zu einem gewissen Grad auch alles nicht ganz verkehrt sein. Nur haben sie auch eine ganze Reihe von Stärken, die außer Acht zu lassen wir uns gar nicht leisten können – nicht in der Arbeitswelt und nicht in der Politik. Alte verfügen nicht nur über Erfahrung, sie müssen sich meist nicht mehr gross­artig profi­lieren oder möglichst schnell reich und berühmt werden. Auch Gelas­senheit ist oft ein guter Ratgeber.

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Sehnsucht nach Wertbeständigkeit
Und so scheint sich derzeit in Deutschland eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit, nach Wertbe­stän­digkeit und bürger­licher Verläss­lichkeit breit­zu­machen. Bellheim-Effekt wird das gern genannt. In Wedels TV-Mehrteiler “Der große Bellheim” aus den 90er-Jahren war es ein Quartett von ausge­bufften Pensio­nären, die einen angeschla­genen Kaufhaus­konzern wieder flott­machten, den ihre Nachfolger vor die Wand gefahren hatten. Im Film hat das wunderbar und rührend geklappt. Die Wirklichkeit folgt aber nur in den seltensten Fällen vorge­fer­tigten Drehbü­chern. So mag es zwar nach Lage der Dinge recht wahrscheinlich sein, dass seinerzeit Joachim Gauck ein guter Bundes­prä­sident wurde. Doch alles werden die promi­nenten Alten nicht richten können.

Reife tritt mit mit erhöhter Wahrschein­lichkeit auf
Ihr Rat, ihre Erfahrung und ihre Reife sind aber gefragt. Und das ist gut so. Denn sie können Vorbild für andere Lebens­be­reiche sein. Sie alle haben keine Spitzen­posten, nur weil sie alt sind, sondern weil sie wissen, wie ihr Laden läuft, weil sie vielleicht nicht mehr die Schnellsten sind, dafür aber alle Abkür­zungen kennen. Weil vielleicht auch Firmen­chefs einsehen, dass erfahrene Mitar­beiter eine Ressource sind, die langfristig und jenseits der Gehalts­kosten gesehen Gewinn bringt. Die Jugend muss sich deswegen jetzt keine Sorgen machen. Denn nicht alle Alten werden auch zu alten Hasen. Reife tritt zwar bei zuneh­mendem Alter mit erhöhter Wahrschein­lichkeit auf, ist aber keineswegs eine automa­tische Folge des Älter­werdens. Es droht also beileibe keine Geron­to­kratie, eine Diktatur der Alten im Lande. Die derzeitige Häufung in öffent­lich­keits­wirk­samen Posten mag am Ende sogar nur rein zufällig sein. Ganz sicher bleibt genug Arbeit für alle Genera­tionen – und unumstößlich die Weisheit, dass die Jungen von heute auch einmal alt werden. Was die meisten Menschen aber erst einsehen, wenn es so weit ist.

→ Quelle: Hamburger Abend­blatt

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